Uwe Brinkmann


Der deutsche Arzt Dr. Uwe Brinkmann war sich der Gefahr bewußt, als er freiwillig an das Krankenbett Dr. Mandrellas eilte. Die Einheimischen bewunderten den Mut des Doktors, der Frau und Kinder vorher unterrichtete und sie dann verließ.
HENRI NANNEN, März 1974


Henri Nannen schrieb 1974 an die Sternleser:

Lieber Sternleser!

Als ich ihn das erste Mal zu Gesicht bekam, mit seinem Dschingis-Khan-Bart, den langen Haaren und den verwaschenen Jeans, habe ich mich einen Augenblick gefragt, wie ich wohl reagiert hätte, wenn er an mein Krankenbett getreten wäre.

Sie kennen das, man hat Schmerzen, ist ganz hilflos, und wenn man ein Hypochonder ist wie ich, dann denkt man auch gleich, dass es etwas Bösartiges sein könnte – hat nicht die Schwester eben ein sehr besorgtes Gesicht gemacht?

Und dann kommt der Arzt. Man erwartet einen Herrn in den Fünfzigern, genau in der Mitte zwischen Würde und Eleganz. Hoch geschlossener weißer Mantel mit dem etwas kokett offenstehenden Bündchen, das Stethoskop in der Brusttasche.

Man wartet darauf, weil man es bei früheren Krankheiten schon erlebt hat: wenn die kühle Hand den Puls fühlt, beginnt die Angst zu weichen, nun ist man in guten Händen, die Krankheit bekommt einen Namen, die Schwester bekommt ihre Vorschriften für die Medikation, ein paar lateinische Worte, ein vertrauenerweckendes Lächeln hinter der goldgeränderten Brille. Es wird schon wieder werden.

Nein, so ein Arzt ist dieser Dr. Uwe Brinkmann nicht. Er ist eher klein, und wenn sein Bart nicht wäre, würde man ihn wohl unscheinbar nennen, er hat auch kein sonores Organ, eher eine leise Stimme, immer ein wenig zögernd, überlegend, kein „den Finger drauf, das nehmen wir!“

Ich muss nun zugeben, wenn dieser Dr. Brinkmann an mein Krankenbett getreten wäre, ich hätte wohl eine Weile gebraucht, um mich bei ihm in guten Händen zu wissen.

Ich lernte Dr. Brinkmann nicht als Patient kennen. Sein Chef, Professor Mohr, vom Hamburger Tropeninstitut, schickte ihn zu mir, als wir in Äthiopien anfingen, gegen den Hunger zu kämpfen. Dr. Uwe Brinkmann und seine Frau Agnes bauten eines der ersten Camps in der Katastrophenprovinz Wollo auf. Da wurden nicht nur Hungernde gefüttert und Kranke behandelt, da richtete Dr. Brinkmann eine Spinnerei ein und eine Schneiderhütte, bestellte mit seinen äthiopischen Helfern einen Mustergarten, baute ein Backhaus, bohrte nach Wasser und richtete eine Schule ein. Und wie Dr. Brinkmann machte es sein Kollege Dr. Jens Herrmann. Sie haben ihn vor zwei Wochen im STERN sehen können, auch er eher ein Hippie mit schulterlangen blonden Haaren, kein Doktor wie wir ihn aus dem Bilderbuch unserer Gesellschaft kennen.

Dr. Brinkmann war gerade in Hamburg, als die Nachricht aus Lagos in Nigeria kam, dass der junge deutsche Arzt Dr. Mandrella an dem gefährlichen Lassa Fieber erkrankt sei. Gefährlicher als Pest und Pocken sei dieses Fieber, sagten die Sachverständigen und ansteckender. Dr. Mandrella hatte sich infiziert, als er bei seinem Freund und Kollegen Dr. Sauerwald einen Luftröhrenschnitt gemacht hatte. Dr. Sauerwald, 29 Jahre alt, starb in Nigeria. Dr. Mandrella, 32 Jahre alt, brach einige Tage später zusammen. Als die Nigerianer erkannten, was ihn zu Boden geworfen hatte, flüchteten sie bis auf eine schwarze Schwester aus der Nähe des Kranken.

Als Professor Mohr den ersten Funkspruch aus Lagos bekam, sagte Dr. Brinkmann: „Ich fahre hin.“ Der Institutschef zögerte, er glaubte, die Ansteckungsgefahr dem Vater von zwei Kindern nicht zumuten zu dürfen. „Ach was“, sagte Uwe Brinkmann nun gar nicht mehr leise und gar nicht mehr zaghaft, „einer muss ja hinfliegen und da fliege ich eben.“

Was immer später über die Ansteckungsgefahr gemutmaßt werden mag - als Dr. Brinkmann sich auf den Weg machte, war der Stand der medizinischen Erkenntnis so, dass seine Reise einem Todeskommando nicht unähnlich sah.

Zitat Ende